Dr. Georg Spitaler
Politologe und Historiker. Lehrbeauftragter und ehem. Post-Doc-Assistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Lehraufträge an mehreren österreichischen Universitäten. Forscht am Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA).
Zahlreiche Publikationen zu den Forschungsschwerpunkten Arbeiter:innengeschichte, Politische Theorie und Cultural Studies, Fragen des Politischen im Sport.
Lebenslauf / CVAktuelle Forschungsprojekte:
2020-2024 Buch- und Habilitationsprojekt "Hilde Krones und die 'Generation der Vollendung'“
Im Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA) liegt der Nachlass der sozialistischen Politikerin Hilde Krones (1910–1948). Er enthält umfangreiche private und politische Korrespondenzen, Manuskripte und Reden, Notizen und Fotografien aus den Jahren 1924 bis 1948. Krones, die als junge Frau im Roten Wien der Jahre 1919–1934 politisch geprägt wurde, war ab 1934 als Revolutionäre Sozialistin im Widerstand gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus aktiv. Nach der Befreiung 1945 war sie Nationalratsabgeordnete, Frauenpolitikerin und eine der wenigen weiblichen Mitglieder im Parteivorstand der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), bis sie 1948 Selbstmord beging.
Das Projekt erzählt die Geschichte dieser weitgehend vergessenen Frau – als spezifisch politologische Biografie in politischen Begriffen und Gefühlen.
Ich nehme den Nachlass von Hilde Krones zum Ausgangspunkt, um danach zu fragen, welche Relevanz die Materialien aus einem solchen Nachlass für gegenwärtige politiktheoretische Debatten haben. Anknüpfend an theoretische und methodische Positionen der Hauntology und verwandter Zugänge zu ‚spukenden‘ Hinterlassenschaften aus dem Archiv trete ich in einen Dialog mit den in dem Nachlass gespeicherten politischen Gefühlen, Begriffen und Konzepten. Ich nenne dies eine forschende Séance, in der ich Fragen an die Medien des Nachlasses richte, auf der Suche nach den verschütteten Hoffnungen und "lost futures" emanzipativer Politik, die in den Trümmern der Geschichte des 20. Jahrhunderts begraben sind.
Hilde Krones war Teil jener Generation, die Otto Bauer, der theoretische Kopf der österreichischen Sozialdemokratie, am Höhepunkt des Roten Wiens als „Generation der Vollendung“ bezeichnet hatte, als jene Gruppe junger Parteiangehöriger, die zu ihren Lebzeiten das Ende des Kapitalismus erleben würde. Dieses in die Zukunft gerichtete Versprechen trug Krones mit einem starken Hoffnungsbegriff durch die Zeiten des Terrors und der Verfolgung, durch Austrofaschismus, Nationalsozialismus und Krieg. Ihr Nachlass offenbart, wie sehr das Versprechen der „Vollendung“ auch mit Gefühlen wie Angst, Schmerz und Enttäuschung verbunden war. Drei Jahre nach der Befreiung vom NS-Regime, im Alter von 38 Jahren, setzte Hilde Krones ihrem Leben ein Ende.
Hoffnung auf eine nicht-dystopische Zukunft, wie sie durch die Medien ihres Nachlasses geistert, will sich heute, in Zeiten des „kapitalistischen Realismus“ (Mark Fisher) nur schwer einstellen. Als Beitrag zu einer politikwissenschaftlichen Gefühlstheorie frage ich danach, wie die in der Auseinandersetzung mit einem historischen Archiv aufgefundenen politischen Gefühle und Begriffe Impulse für die Entwicklung emanzipativer Zukunftsperspektiven in der Gegenwart liefern können.
Ich folge dabei auch der zentralen Einsicht queer-feministischer Theorie in die politische Relevanz ‚privater‘ Gefühle. Im Zuge meiner Beschäftigung mit dem Nachlass von Hilde Krones zeichnete sich in dieser Hinsicht ab, dass Fragen nach dem Zusammenhang von Emotionen und politischem Aktivismus bereits für die „Generation der Vollendung“ eine wichtige, explizit zum Thema gemachte Rolle spielte. Krones‘ Verständnis von „Vollendung“ umfasste nicht nur die große Politik, es beinhaltete auch den Anspruch auf neue „Beziehungsweisen“ (Bini Adamczak), auf glückliche Partner:innenschaft und gleichberechtigte Liebe. Die Rekonstruktion dieser vergessenen historischen „Gefühlspädagogik“ (Deborah B. Gould) – betrachtet vor dem Hintergrund gegenwärtiger emotionaler Pädagogiken und theoretischer Standpunkte – bildet den zweiten umfangreichen Schwerpunkt des Projekts.
Ein von Ingo Pohn-Lauggas gestalteter Podcast aus der Serie kulturItexte bietet Einblicke in das Projekt.
Politische Theorie
Publikationen zum Thema:
Hilde Krones und die Generation der Vollendung. Eine Spurensuche, Wien/Berlin 2024
denken, schreiben, tun. Politische Handlungsfähigkeit in Theorie, Literatur und Medien, Frankfurt/M. 2018 (Co-Herausgeber mit Amália Kerekes, Marion Löffler und Sabine Zelger)
Sport und das Politische
Publikationen zum Thema:
Sportfunktionäre und jüdische Differenz. Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938, Berlin/Boston 2019 (Co-Herausgeber mit Bernhard Hachleitner und Matthias Marschik)
Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen, Wien 2018 (Co-Herausgeber mit Matthias Marschik, Agnes Meisinger, Rudolf Müllner, Johann Skocek)
Sports in Austria 1918-1938, in: The Shalvi/Hyman Encyclopedia of Jewish Women (mit Petra Sturm), 2021
Arbeiter:innengeschichte
Publikationen zum Thema:
The Red Vienna Sourcebook, Rochester/NY 2020 / Das Rote Wien. Schlüsseltexte der Zweiten Wiener Moderne 1919-1934, Berlin/Boston 2020 (beide hg. mit Rob McFarland und Ingo Zechner)
Das Rote Wien 1919-1934. Ideen, Debatten, Praxis. Ausstellungskatalog Wien Museum, Basel 2019 (Hg. mit Werner Michael Schwarz und Elke Wikidal)